Nach quälenden Jahren der Verhandlungen wird eine Entscheidung über das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU getroffen – der offizielle Austritt erfolgte am 31. Januar 2020. Selbst wenn noch Hürden zu nehmen sind, ist ein Abkommen realistisch. Ab 2021 müssen sich Ex- und Importeure umstellen. Zollformalitäten werden fällig. Schwierigkeiten an der Grenze sind zum Jahresanfang unvermeidlich. Standards im Warenhandel könnten angepasst werden. Der Dienstleistungshandel wird erschwert. Der Unterschied zu einem „harten“ Bruch mit der EU wirkt gar nicht mehr so groß, zumindest langfristig. In dem Fall gäbe es dann allerdings Zölle auf WTO-Basis, rechtliche Unsicherheiten und ein deutlich längeres Chaos an der Grenze – was das britische Wachstum 2021 spürbar verringern würde.
„Brexit means Britain can no longer blame EU for nanny state nonsense.“
Baylen J. Linnekin, Experte für Lebensmittelpolitik
Die Vorteile des Brexit sind …? Ok, die vage Hoffnung auf für die Briten günstigere Freihandelsabkommen mit anderen Staaten. Die Briten können zwar mehr selbst regulieren, jedoch nicht da, wo sie Geschäfte mit der EU machen wollen. Dass Großbritannien ein wenig reguliertes „Singapur an der Themse“ wird, passt auch dort kaum in die politische Landschaft.
Selbst die konservative Regierung plant verstärkte staatliche Eingriffe. Der Produktionsstandort wird durch eine kompliziertere Handelsgrenze unat traktiver. Die Dienstleistungsexporte bedeuten für kaum ein anderes entwickeltes Land so viel. Die EU ist hier – anders als bei den Waren – nicht die dominierende Destination. Einen Teil der Geschäfte bzw. der Gewinne dürften britische Unternehmen aber verlieren. Im Trend wird das Wachstum beeinträchtigt. Damit wird sich für den Staat wohl nicht einmal die Ersparnis der EU- Beiträge finanziell auszahlen. Freiheit hat eben ihren Preis.
Die britische Wirtschaft muss mit der Corona-Pandemie, die das Land besonders schwer traf, eine kurzfristig noch größere Aufgabe als den Brexit bewältigen. Der BIP-Einbruch 2020 von 10,7 % wird sich nicht wiederholen, das Wachstum ist bereits angesprungen. Die Konsumenten zeigen sich wieder ausgabefreudig. Die staatlichen Hilfen federn die Einkommensverluste ab. Allerdings wird die Arbeitslosigkeit zunehmen. Da zudem manche Restriktionen vorerst weiterbestehen bzw. zeitweise sogar verschärft werden, bleibt der private Verbrauch unter dem Vorkrisenniveau. Die Unternehmensinvestitionen liefen schon vor Corona mit angezogener Handbremse. Die Gegenbewegung nach dem Einbruch wird noch von den Unsicherheiten gedämpft. Im Verlauf von 2021 dürften die Investitionen aber spürbar anziehen, weil dann mehr Klarheit sowohl hinsichtlich der Pandemie als auch des Brexit herrscht.
Der britische Staat zeigt sich sehr spendabel. Angesichts der immensen Haushaltsdefizite kann er aber nicht ständig Fiskalpakete nachlegen. Der Kollaps der Importe verbesserte die Handelsbilanz 2020 massiv. Im Folgejahr wird sich der britische Saldo verschlechtern, zumal sich der EU-Austritt auswirken wird. Trotz aller Probleme und selbst bei neuerlichen Corona-Restriktionen oder gar einem Brexit-Chaos wird die britische Wirtschaft 2021 wachsen. Solange sich diese Belastungen in Grenzen halten, dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 5,7 % zunehmen.
Die Inflation wird 2021 von 1 % auf 2,4 % klettern. Höhere Energiepreise, der Wegfall von Sondermaßnahmen wie spezifische Mehrwertsteuersenkungen, eine allgemeine Nachfragebelebung sowie wohl auch höhere Brexit-bedingte Importkosten steigern die Teuerung. Da die Bank of England derzeit mehr über Negativzinsen fabuliert, wird der Leitzins von 0,1 % bestimmt nicht angehoben. Ihr aktuelles Anleihekaufprogramm dürfte aber nach der angekündigten Ausweitung Ende 2021 auslaufen.
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