12.5.2021
Was wäre, wenn Unternehmen aufgrund der Pandemieerfahrungen ihre Lieferketten deutlich lokaler aufstellen würden?
Dann würden wir auf Wohlstand verzichten, denn die Globalisierung mit der Ausnutzung relativer Kostenvorteile und technologischer Spezialisierungen einzelner Regionen oder Länder erhöht die Einkommen weltweit. Die Pandemie hat zwar vorherige Überzeugungen teilweise in Frage gestellt. So ist vielen Unternehmen das Risiko einer Just-in-time-Belieferung durch plötzliche Grenzschließungen bewusster geworden. Allerdings ergibt es keinen Sinn, die Produktion nun allein an außergewöhnlichen Situationen wie einer Pandemie auszurichten. Unternehmen sollten jedoch Klumpenrisiken beim Bezug von Vorprodukten aus ökonomischen Gründen möglichst vermeiden. Lieferketten können optimiert werden. Die Wirtschaftspolitik sollte auch in einer Pandemie den freien Handel nicht durch Zölle und andere nichttarifäre Handelshemmnisse bremsen. Dies schließt aber nicht aus, höhere Lagerbestände für in Notfällen benötigte Güter wie Schutzmasken aufzubauen.
Was kommt auf die Banken zu, wenn die Aufsicht Klimarisiken künftig stärker beleuchtet?
Europas Banken müssen sich wohl wärmer anziehen: Bereits im laufenden Jahr werden die Regulatoren die Institute zur stärkeren Beachtung von Klimarisiken drängen und mehr Transparenz einfordern. Die EZB-Aufsicht wird ab 2022 die Steuerung von Klima- und Umweltrisiken eingehender prüfen. Darüber hinaus will sie Klimarisiken zum Schwerpunkt ihres nächsten Stresstests im Jahr 2022 machen. Parallel dazu verschärfen die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen und Wirtschaftsaktivitäten, damit verbundene Offenlegungspflichten sowie die Berücksichtigung von ESG-Aspekten bei der Finanzberatung die regulatorischen Anforderungen. Dies ist mit enormen Kosten und bürokratischem Aufwand für die Kreditinstitute verbunden. Die Branche ist allerdings gut vorbereitet. Die Banken berücksichtigen seit langem schon Umweltaspekte im Kreditprüfungsprozess. Eine nachhaltige Ausrichtung gilt inzwischen als wichtiger Erfolgsfaktor. Veröffentlichungen auf freiwilliger Basis gehören daher längst zum Standard. Fest steht: Klimarisiken sind auch finanzielle Risiken. Ihre systematische Berücksichtigung kommt somit nicht nur der Umwelt zugute, sondern stärkt letztlich auch die Bonität und Leistungsfähigkeit der Banken.
Warum bleibt Nachhaltigkeit wichtig für Finanzplätze?
Die Pandemieherausforderungen haben das Thema Nachhaltigkeit etwas in den Hintergrund treten lassen. Der Umgang mit Corona zeigt aber, dass mit politischen Anreizen und breiter gesellschaftlicher Unterstützung die Anpassung von gewohnten Verhaltensmustern möglich ist. „Sustainable Finance“ ist unerlässlich beim Wandel hin zum Weltwirtschaftssystem der Zukunft und wird damit auch zu einem bedeutenden Wettbewerbsfaktor für internationale Finanzplätze. Schließlich braucht es für das Gelingen der Energiewende und die dafür notwendige Transformation in den Unternehmen eine entsprechend ausgerichtete Finanzbranche. Durch die Konzentration verschiedener Akteure können Finanzstandorte dabei einiges bewirken, einzeln und in Interaktion rund um den Globus. Der Finanzplatz Deutschland zeigt hier mittlerweile vielfältiges Engagement und rangiert laut aktueller Studie einer UN-Initiative in der Spitzengruppe für „Sustainable Finance“. Frankfurt als Herzstück des deutschen Finanzwesens bieten sich hier gute Möglichkeiten zur Weiterentwicklung auf seinem nachhaltigen Weg.
Was passiert, wenn die COVID-19-Pandemie länger andauert als derzeit erwartet?
Wir hoffen aktuell auf weitgehende Lockerungen der einschränkenden Maßnahmen im Sommerhalbjahr. Wenn sich dies durch die Entwicklung der Infektionszahlen oder durch Verzögerungen beim Impffortschritt als zu optimistisch erweisen sollte, fallen Öffnung und konjunkturelle Erholung nicht etwa aus. Sie verschieben sich eben nach hinten. Je später der Aufschwung kommt, desto niedriger wird das Wirtschaftswachstum 2021, aber umso höher wird es 2022 sein. Das hört sich jetzt vielleicht so an, als sei das alles gar nicht so schlimm. Das wäre aber blauäugig: Schon ein um ein paar Monate verzögertes Ende des „Social Distancing“ würde die von der Pandemie angerichteten ökonomischen Schäden deutlich erhöhen. Dazu gehören die Störung des Bildungs- und Ausbildungsprozesses für junge Menschen, zunehmende Arbeitslosigkeit, steigende Unternehmensinsolvenzen und eine immer höhere Belastung der öffentlichen Kassen. Deshalb ist es wichtig, jetzt die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren und die Impfungen mit größtem Druck voranzutreiben.
Seit 16 Jahren ist Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirtin der Helaba und eine der ganz wenigen Frauen in dieser Position in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Research-Team veröffentlicht sie neben zahlreichen Publikationen jährlich im Herbst „Märkte und Trends – Der Jahresausblick für Konjunktur und Kapitalmärkte“. Darin entwickelt sie verschiedene weltwirtschaftliche Szenarien für das kommende Jahr, die immer einem Motto folgen. Ihre Prognosen haben sich bisher als äußerst treffsicher erwiesen.
Gemeinwohl zu fördern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, ist für uns eine unternehmerische Verpflichtung.