In Deutschland hat sich die Corona-Pandemie in der ersten Novemberhälfte wieder verschärft. Die Konsumenten sind deswegen noch nicht zu ihrem Vorkrisenverhalten zurückgekehrt. Zudem bestehen Probleme mit der Verfügbarkeit von Vorprodukten, die teilweise eine Folge des kräftigen weltweiten industriellen Aufschwungs sind.
Damit fällt das Wirtschaftswachstum 2021 mit 2,8 % gemessen am vorangegangenen Einbruch (2020: -4,9 %) enttäuschend aus. Die Hoffnung ruht jetzt auf 2022. Dann dürfte das Kapitel Pandemie mit einem Zuwachs von kalenderbereinigt rund 4 % abgeschlossen sein. Das Vorkrisenniveau wird bereits im ersten Quartal überschritten.
Die Fiskalpolitik wirkt durch das Auslaufen der Corona-Hilfen 2022 dämpfend. Allerdings plant die neue Bundesregierung Stimulierungen in mehreren Bereichen, die diesen Effekt abschwächen. Da der wirtschaftliche Aufholprozess 2022 wohl abgeschlossen ist, sinkt die Wachstumsrate 2023 auf 2 %.
Ein wichtiger Treiber des Wachstums dürfte 2022 der private Konsum werden. Er war 2021 nur um schätzungsweise 0,5 % gestiegen. Zum einen blieben die verfügbaren Einkommen 2021 mit rund 2½ % unter der deutlich erhöhten Inflationsrate von gut 3 %. Die privaten Haushalte mussten also einen realen Rückgang ihrer Einkommen hinnehmen.
Zum anderen hat die Sparquote ihr Niveau von 2019 (10,8 %) bei weitem noch nicht erreicht. Sie dürfte 2021 rund 15 % betragen haben. 2022 sollten wieder verstärkt Dienstleistungen in Anspruch genommen werden und durch die Überwindung der Lieferengpässe sind Güter wie Fahrzeuge auch problemloser verfügbar. Die Sparquote sinkt dann in etwa auf das Vorkrisenniveau.
Die verfügbaren Einkommen sollten um gut 4 % zulegen, weil sich die Besserung der Beschäftigung fortsetzt, die Renten mit etwa 5½ % deutlich höher ausfallen sowie die Unternehmens- und Vermögenseinkommen steigen. Die mögliche neue Regierung plant eine einmalige Mindestlohnanhebung von 25 % auf 12 Euro. Sollte dies umgesetzt werden, wird die Kaufkraft zusätzlich erhöht. In der Summe dürften die Konsumausgaben 2022 um 5½ % zulegen.
Die Inflationsrate sinkt 2022 nur leicht auf 2,7 %. Sondereffekte entlasten etwas: Die preistreibende Wirkung der Mehrwertsteueranpassung fällt aus der Berechnung heraus. Die Energienotierungen dürften zwar hoch bleiben, die Vorjahresveränderung geht hier aber deutlich zurück.
Die Ausrüstungsinvestitionen sind 2021 um schätzungsweise 5 % gestiegen. Die aus dem Vorproduktmangel und Logistikproblemen resultierenden Schwierigkeiten in der Industrie haben ein besseres Ergebnis nach dem Einbruch seit Mitte 2019 verhindert. Die allmählich verbesserte Lieferfähigkeit der Unternehmen sollte 2022 zu einem Wachstum von 5,5 % führen.
Die Auftragseingänge aus dem Inland für Investitionsgüter sind deutlich gestiegen. Im Sondierungspapier der vermutlich künftigen Regierungsparteien werden „Superabschreibungen“ in den Bereichen Digitalisierung und Klimaschutz angekündigt. Sollten diese 2022 eingeführt werden, ist mit positiven Effekten zu rechnen.
Die Bautätigkeit ist aktuell von Materialengpässen und Kapazitätsgrenzen betroffen. Erstere dürften langsam an Bedeutung verlieren, letztere jedoch nicht. Insofern werden die Zuwachsraten der Bauinvestitionen trotz hohem Bedarf 2022 mit 1,5 % überschaubar bleiben.
Insgesamt dürften 2021 etwa 315.000 Wohnungen gebaut worden sein. Das von der neuen Regierung gesetzte Ziel von 400.000 Wohnungen p.a., davon öffentlich gefördert 100.000, ist vor diesem Hintergrund ambitioniert und setzt die deutliche Ausweitung der Baukapazitäten voraus. Steigende Baukosten sowie Immobilien- und Grundstückspreise hemmen die Aktivitäten zusätzlich. Mehr Bauflächen müssten zur Verfügung gestellt werden.
Die Kosten des Klimaschutzes lassen sich nur durch marktwirtschaftliche Instrumente und schnelleren technischen Fortschritt in Grenzen halten
Der Außenhandel hat 2021 nichts zum Wachstum beigetragen. Die Importe dürften mit rund 9 % sogar etwas stärker gestiegen sein als die Exporte (8 %). Überdurchschnittlich stieg der Handel mit der Eurozone, während die Verkäufe nach Großbritannien keine Erholung zeigten.
Auch bei den Exporten schlugen sich die Lieferprobleme negativ nieder. Diese Schwierigkeiten sollten sich 2022 reduzieren. Allerdings werden der starke Konsum und die höhere Produktion zu lebhaften Einfuhren führen. Die Exporte dürften mit 4,5 % trotzdem etwas stärker zulegen als die Importe (4 %), der Außenbeitrag steigt also.
Die konjunkturellen Perspektiven sind vielversprechend. Trotzdem steht Deutschland vor großen Herausforderungen: Das Produktionspotenzial dürfte nach den Berechnungen der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose bis 2026 unter 1 % sinken, vor allem, weil die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter abnimmt.
Die notwendige Dekarbonisierung zur Bekämpfung des Klimawandels wird einen Teil des Kapitalstocks entwerten. Massive Investitionen werden somit notwendig. Damit sinken zumindest temporär die Konsummöglichkeiten pro Einwohner.
Die Kosten der Transformation zeigen sich mittelfristig auch in höheren Verbraucherpreisen. Lagen diese in Deutschland in den letzten fünf Jahren bei gut 1 % p.a., dürfte u.a. hierdurch in den nächsten fünf Jahren mehr als 2 % erreicht werden.
Es besteht die Gefahr, dass zusätzliche klimapolitische Anreize, z.B. bei der energetischen Sanierung, aufgrund von Kapazitätsengpässen zu weiteren Preissteigerungen statt Mengeneffekten führen. Eine marktwirtschaftliche Umweltpolitik könnte die zwangsläufig entstehenden Kosten gegenüber dirigistischen Eingriffen verringern.
Das beschriebene Dilemma zwischen Klimaschutz und temporär sinkenden Realeinkommen pro Einwohner lässt sich durch technischen Fortschritt entschärfen. Nur er führt zu neuen klimafreundlichen Produkten und Verfahren sowie zu einer höheren Produktivität.
Die neue Bundesregierung ist deswegen gut beraten – wie im Sondierungsentwurf angekündigt – Forschung und Innovation höchste Priorität einzuräumen. Erfolge hierin würden sich auch in den „Sonstigen Investitionen“ niederschlagen, die neben F&E auch Software sowie Datenbanken erfassen. Sie wachsen langfristig überdurchschnittlich, auch wenn zuletzt die Dynamik nachgelassen hat. Ihr Anteil beträgt mittlerweile fast ein Fünftel der gesamten Anlageinvestitionen.
Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Die deutsche Konjunktur erhält zusätzliche Impulse. Welche Wachstumsraten können die Kernregionen der Helaba erwarten? Wie groß sind die Unterschiede zwischen den regionalen Arbeitsmärkten?